I. Matuschik: Siedlungsarchäologie im Alpenvorland XII

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Titel
Siedlungsarchäologie im Alpenvorland XII. Die Keramikfunde von Hornstaad-Hörnle I-VI. Besiedlungsgeschichte der Fundstelle und Keramikentwicklung im beginnenden 4. Jahrtausend v.Chr. im Bodenseeraum


Autor(en)
Matuschik, Irenäus
Reihe
Forschungen und Berichte zur Vor- und Frühgeschichte in Baden-Württemberg
Erschienen
Stuttgart 2011: Theiss Verlag
Anzahl Seiten
605 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Thomas Doppler

Mehrere Masterialgruppen aus der Seeufersiedlung Hornstaad-Hörnle IA (3918–3902 v.Chr.) wurden bereits publiziert: die Silexartefakte (2005), die Siedlungsbefunde (2006), die dendroarchäologischen Untersuchungen (2006) und die Schmuckobjekte (2009). Nun liegt auch die Gefässkeramik vor. Die Keramikensembles bildet den Schwerpunkt der umfangreichen Arbeit, während die Fundstellen IB-VI im Sinne einer ganzheitlichen und diachronen Betrachtung der Siedlungskammer vorgestellt werden (S. 262–307.345–371). Da die 2006 publizierten Siedlungsbefunde kontrovers diskutiert und uneinheitlich dargestellt werden, muss Matusik zunächst die Befunde und Hausabgrenzungen einer eigenen Bewertung unterziehen (S. 18–39). Die grosse Anzahl an Befundnummern, die nur teilweise auf den abgebildeten Siedlungsplänen ersichtlich sind, erschwert die Nachvollziehbarkeit. Der Leser muss gelegentlich auf die 2006 vorgelegten Originalpläne zurückgreifen, was durchaus umständlich ist.

Die Zerstörung des Siedlungsplatzes durch einen Brand um 3909 v.Chr. und die unmittelbar folgende Wiederbesiedlung bieten interessante Analysemöglichkeiten. Verf. differenziert zwischen vorbrand- (Phase α, 3918–3909 v.Chr.) und nachbrandzeitlicher Bebauung (Phase β, 3909–3902 v.Chr.) mit einer trennenden Brandschicht. Die Phasenpläne mit unterschiedlicher Häuserzahl und abweichenden Hausnummern (S. 29.32) sind etwas schwerfällig, da sie (zu) viele Details, unglückliche Farbschattierungen und fehlerhafte Befundnummern (S. 29) enthalten. Die Häuser werden zweiräumig, mit Dachboden und abgehobener Pfahlbauweise rekonstruiert, was bei Überlegungen zur Fundverteilung wichtig ist. Es wird von einem Wirtschafts- und einem Schlafbereich ausgegangen, wobei die Gefässkeramik mit dem Wirtschaftsbereich korrespondiert und als Indiz für firstseitige Hauszugänge dient (S. 39.199–201).

In der Grabungsfläche (1262 m2) wurden 290,6 kg stratifizierte Keramik geborgen, woraus 729 Keramikeinheiten rekonstruierbar waren (S. 16.43). Dieses umfangreiche Inventar wird ausführlich beschrieben und kategorisiert, wobei auf Aspekte wie Erhaltungszustand, Machart, Einzelmerkmale, Verzierungen und Gliederungskriterien eingegangen wird (S. 39–100.409–481). Die anschliessende planigrafische Auswertung erfolgt nach den genannten Phasen. Den quellenkritischen Beschreibungen sind anschauliche Fundkartierungen und Zusammenstellungen der keramischen Hausinventare beigefügt, was die Nachvollziehbarkeit der Argumentation erleichtert (S. 104–206). Matusik erachtet die Brandschicht als besonders aussagekräftige Momentaufnahme (S. 202.206), bei der 211 Keramikeinheiten einen starken räumlichen Bezug zu den Hausruinen aufweisen (S. 113–115).

Auf Grundlage der erarbeiteten Indizien thematisiert Verf. verschiedene sozialgeschichtlich relevante Aspekte, etwa zur Funktion und Organisation der Häuser, zum Reichtum der Hausinventare (S. 198–208), zu überregionalen Bezügen und lokalen Eigenheiten (S. 210–258) oder zu Fragen nach «Hausstilen» (S. 258–261). Heterogenität in der Machart der Gefässe und im Formenbestand sowie fehlende Belege für Hausstile führen zur Annahme, dass mit verschiedenen Töpfer/innen zu rechnen sei (S. 261). Die Feststellung, dass in allen Häusern Keramikgefässe nachgewiesen sind, deutet Matusik als Indiz für selbstversorgende Einfamilienhaushalte — obwohl auf mögliche zusammengehörige Hausgruppen hingewiesen wird (S. 198f.), die nicht in dieses Bild passen. Auffällig sind die unterschiedlichen Quantitäten, teilweise auch Qualitäten, der einzelnen Keramikinventare, die auf Unterschiede zwischen den Häusern verweisen und von Verf. als relevant bezeichnet werden (S. 203). Allerdings führt dies nicht zum Hinterfragen der Vorstellung eines Einfamilienhaushalts, sondern lediglich zur Annahme von spezifischen Kultpraktiken (S. 104), zur Hypothese eines Versammlungs- bzw. Männerhauses (S. 205) und schliesslich zur Feststellung, dass es «keine Gebäude mit einer speziellen Funktion gab, sondern dass diese speziellen Funktionen in bestimmten, ansonsten aber ganz normalen Haushaltungen ausgeübt wurden» (S. 260). Wie dieses Bild mit einer starken Umverteilung von Keramikgefässen innerhalb der Siedlung (S. 261) vereinbar ist, führt Matusik nicht aus. Die Hinweise zur sozialen Organisation der Siedlung bringt er mit einem «big men System» in Verbindung (S. 208).

Die ausführlichen Zusammenfassungen in Deutsch, Englisch und Französisch sind einer breiten Wahrnehmung des überregional bedeutenden Keramikensembles förderlich. Besonders hervorzuheben ist die Tatsache, dass Matusik über die formale sowie technologische Beschreibung der Keramikfunde hinausgeht und seine Daten auf erfrischende Art in sozialgeschichtliche Überlegungen einbindet. Er ist bestrebt, die Menschen «hinter» den Hornstaad-Gefässen zu verstehen und zu beschreiben und stellt dabei seine Vorstellungen transparent und explizit zur Diskussion, was in vergleichbarer Weise viel zu selten gemacht wird. Gleichzeitig wird das sozialgeschichtliche Potential der Gefässkeramik evident. Interessant ist etwa der Ansatz zur funktionalen Deutung des Geschirrensembles (S. 103f.), sei dies über die Zusammenstellung von Keramikinventaren und Berechnungen zum Gefässverbrauch pro Haus und Jahr (S. 203–206), über Hinweise zur Rohstoffnutzung und Herstellungsunterschieden (S. 373–394) oder über chemische Analysen an Keramikgefässen (S. 395–407). Eine Weiterführung dieser Ansätze und die Schaffung repräsentativer Grundlagen dürften zu vielversprechenden Vergleichen zwischen Häusern und Siedlungen führen, die sich mit Daten anderer Untersuchungen verknüpfen lassen. Eine solche Annäherung an ein gesamtheitliches Bild wird zu neuen Sichtweisen bezüglich der Organisation von Häusern, Hausgruppen und ganz allgemein der sozialen Struktur neolithischer Gemeinschaften führen. Das sehr empfehlenswerte Buch liefert hierzu wichtige Anregungen und verdeutlicht, welche Möglichkeiten eine breit gefasste Betrachtung und Interpretation von Keramikfunden aus Siedlungszusammenhängen bietet.

Zitierweise:
Thomas Doppler: Rezension zu: Irenäus Matuschik, Die Keramikfunde von Hornstaad-Hörnle I-VI. Besiedlungsgeschichte der Fundstelle und Keramikentwicklung im beginnenden 4. Jahrtausend v.Chr. im Bodenseeraum; mit Beiträgen von Bodo Dieckmann, Werner Scharff und Jorge E. Spangenberg. Siedlungsarchäologie im Alpenvorland XII. Forschungen und Berichte zur Vor- und Frühgeschichte in Baden-Württemberg 122. Stuttgart 2011. Zuerst erschienen in: Jahrbuch Archäologie Schweiz, Nr. 96, 2013, S. 262-263.

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Zuerst veröffentlicht in

Jahrbuch Archäologie Schweiz, Nr. 96, 2013, S. 262-263.

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